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ACATECH nähert sich dem Kambrium

Nachdem „Industrie 4.0“ sich langsam als große Schaumschlägerei zeigt (vgl J.Radkau, Geschichte der Zukunft 2017) und sich die Unternehmen fragen, wie die Investitionen sich denn rentieren sollen, nähert sich ACATECH mit dem Acatech Impuls vom April 2016 „Innovationspotenziale der Mensch-Maschine-Interaktion“ dem Kambrium an. Zwar noch dezent zurückhaltend als nicht allgemein anerkannte Meinung prominenter Autorinnen und Autoren heisst es: „Prominente Autorinnen und Autoren vergleichen die Geschwindigkeit und Qualität der bevorstehenden Entwicklungen dabei mit der sprunghaften Weiterentwicklung des frühen Lebens während der kambrischen Explosion.“ (S. 33) Es gibt wohl kaum noch Steigerungen menschlicher Dummheit, die hier von ACATECH unter dem Mantel der Wissenschaftlichkeit verkauft werden. Doch auch ACATECH zeichnet sich nicht gerade durch Kreativität aus; denn wenn es um die Veränderungen in den Mensch-Maschine-Interaktionen geht, dann werden zunächst die Anwendungsfelder definiert, die für die deutsche Volkswirtschaft zentrale Bedeutung besitzen: das sind Gesundheit, Mobilität, Produktion, Logistik und Finanzdienstleistungen. Und was fällt ACATECH dazu ein: natürlich Beispiele aus dem Gesundheitswesen, dem selbstfahrenden Auto und natürlich der Produktion. Und was ist ein Ergebnis: „All dies trägt dazu bei, dass Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal mehr Zeit haben, individuell auf die Patientinnen und Patienten einzugehen.“ (S.31). Eine altvertraute Prognose, die noch nie eingetroffen ist. Interessant ist natürlich auch, dass ACATECH inzwischen auf der Ebene des ärztlichen Personals gendern kann, während der Rest einfach nur „Personal“ bleibt.

Dabei ist das Problem, das im ACATECH-Impuls unter dem täuschenden Label „Mensch-Maschine-Interaktion“ beschrieben wird, ein sehr ernstes. Denn es geht eigentlich um die „Kollaboration zwischen Menschen und Maschinen“, vielleicht um die Unterordnung der Menschen unter Maschinen. Das Schlagwort des Transhumanismus wird eingeführt, um zu fragen, wie weit menschliche Fähigkeiten „durch maschinelle Unterstützung so weit verändert oder gesteigert werden können und dürfen, dass unser bisheriges Bild vom Wesen und der Begrenztheit des Menschen infrage gestellt wird.“ (S.25/26) Das Thema lässt unsere vorhandenen Vorstellungen von Guter Arbeit und Guten Dienstleistungen alt aussehen und wir bräuchten jede Menge Lösungskonzepte und -wege. Doch was fällt ACATECH ein: AKZEPTANZ! „Jenseits von Fragen des Fortschritts in der Entwicklung von grundlegenden Technologien und ihrer Umsetzung in marktreife Produkte ist die gesellschaftliche Akzeptanz der MMI für ihren langfristigen Erfolg entscheidend.“ (S. 57). Denn nur wenn die Beschäftigten eine unmittelbare Erfahrung des Nutzens der MMI erleben, kann ihre Akzeptanz gesteigert werden, „was wiederum ihren produktiven Einsatz und damit den Nutzen für den Arbeitgeber bedingt.“ (S.64) Damit wird auch klar, welches Menschenbild ACATECH hat.

Mit diesem Impuls hat ACATECH sich die Chance entgehen lassen, ein wichtiges Thema adäquat aufzuarbeiten.

G.Ernst
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