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Klaus Zühlke-Robinet

07.12.2015

Letze Ausfahrt Industriepolitik?

Die „Industrie“ – also produzierendes/verarbeitendes Gewerbe – soll es richten. Wie ein Phönix aus der eigenen Asche sollen mittels einer Renaissance der Industriepolitik wirtschaftliches Wachstum, gute Beschäftigung und gesellschaftliche Zukunftsaufgaben (wie Klimawandel, Energiewende, Mobilität) gemeistert werden. Ist damit „die“ Industrie nicht überfordert?

Auf alle Fälle steht schon heute fest: Allein der Blick in gewerkschaftliche Zeitschriften zeigt, dass das Thema breit erörtert wird. Zwei aktuelle Ausgaben zeigen dies: „Industrie. Der Kern der deutschen Volkswirtschaft“ (Mitbestimmung. Das Magazin der Hans-Böckler-Stiftung, Heft 6/2015)und„Industriepolitik: Konzepte und Kontroversen“ (WSI Mitteilungen, Schwerpunktheft, Zeitschrift des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, Heft 7/2015). Im Editorial der „WSI-Mitteilungen“ zeigen Dieter Rehfeld(IAT Gelsenkirchen) und Astrid Ziegler (IG Metall) den Spannungsbogen der Industriepolitik auf. Sie hat es schon immer gegeben, nur stünde die Industrie gegenwärtig vor immensen Herausforderungen, zumal sie in den Dienst der Bewältigung der gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben (wie Mobilität, Energiewende, demografische) gestellt werden soll. Insofern wird von der „neuen“ Industriepolitik gesprochen. Dort steht weiter: „Hierzu gehört die generelle Bedeutung der Industrie im deutschen Innovationssystem, wozu gerade auch neue technologische und Dienstleistungsinnovationen zählen. Dazu gehört weiterhin die einkommens- und verteilungspolitische Bedeutung industrieller Beschäftigung. Zu nennen ist auch die Neustrukturierung von Wertschöpfungsketten, in deren Rahmen eine neue Arbeitsteilung zwischen industrieller Produktion, damit zusammenhängenden Dienstleistungen und informationstechnischer Vernetzung zu erwarten ist. Industriepolitik diskussions- und strategiefähig zu machen, heißt zunächst, sie aus ihren bisherigen Zusammenhängen zu lösen und breiter zu denken. Industriepolitik muss eben mehr sein als Innovations- oder Technologiepolitik. Industriepolitik benötigt eine gesellschaftspolitische Einbindung. Es geht nicht um Arbeitskosten, sondern um die Qualität künftiger Arbeit, es geht nicht um neue Technologie, sondern um die sich dahinter verbergenden Geschäftsmodelle, es geht nicht um unspezifische Innovationspolitik, sondern um den Beitrag von Innovationen in der Industrie zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen.“ (S. 490)

Zweifellos, Deutschland hat eine starke Industrie. (siehe z. B. Priddat/West [Hg.]: Die Modernität der Industrie, 2012)Aber gerade dies beruht heute (und auch morgen) auf dem geschickten Zusammenspiel von Sachgütern und Dienstleistungen (produkt- und produktionsbezogene Dienstleistungen), den so genannten „hybriden Leistungsbündeln“. Im B2B-Geschäft werden schon häufig keine Maschinen und Anlagen oder Flugzeuge mehr verkauft, sondern garantierte Leistungsversprechen (pay-as-You-use-Prinzip).Heute werden an (private) Endkunden noch Autos verkauft/verleast, doch eigentlich wird kein Auto benötigt sondern Mobilität.Eingelöst werden diese Nutzenversprechen über Geschäftsmodelle, die über digitale Plattformen gesteuert werden, und die wiederum müssen nicht unbedingt bei VW oder Mercedes-Benz, Schuler oder Voith beheimatet sind. Wer diese Plattformen betreibt ist noch offen, doch: „Die Betreiber von Serviceplattformen entscheiden künftig als Kontrolleure der digitalen Kontrollpunkte über die Verteilung der Wertschöpfung“(„Smart Service Welt“, März 2015, acatech-Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V., S. 121). Wer die Kontrollpunkte beherrscht, bestimmt innerhalb der Wertschöpfungssysteme, wer Koch und wer Kellner ist.

So betrachtet, kommt einem der gegenwärtig administrierte industriepolitische Branchendialog unter Federführung des BMWi (siehe die Darstellung in Mitbestimmung, S. 24ff oder in WSI/Mitteilung, S. 554ff) unterkomplex vor, da er sich an industriellen Wertschöpfungsketten ausrichtet.Statt von Wertschöpfungsketten auszugehen wäre es erforderlich, Wertschöpfungssysteme in den Blick zu nehmen. Mobilitäts-, Gesundheits- oder Energiesysteme sind hochkomplexe Wertschöpfungsgebilde, in denen branchen- und Sektorübergreifend und global zusammengearbeitet, produziert, entwickelt und geforscht wird, Kunden „mitarbeiten“ und „ko-produzieren“. So betrachtet, wäre es nötiger denn je, alle DGB-Gewerkschaften in diesen Dialog einzubeziehen. Außerdem wäre „Industriepolitik“ erheblich weiter zu fassen, etwa so, wie es Rehfeld/Dankbaar (S. 491ff) in den erwähnten WSI-Mitteilungen umreißen: als „Transitionspolitik“ zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Hierzu gehören neben sozialen Innovationen (Einbezug der Bürgerinnen und Bürger ohne auf bloße Akzeptanz zu schielen) auch Punkte wie die Stärkung der Prozesskompetenzen der Beschäftigten, die Arbeitsorganisation, die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine und nicht zuletzt die Berücksichtigung der lokalen Ebene als Ort für deren Umsetzung.

„Industriepolitik“ ist natürlich ein politikfähiger, griffiger Begriff, mit dem Belegschaften zu mobilisieren sind (wie seinerzeit mit der „Abwrackprämie“). Doch „Industriepolitik“ reklamiert eine Domäne, die es so kaum mehr gibt und eher den klassischen Zuständigkeiten der industriellen Verbände folgt. Wenn die „‘Nationale Plattform Elektromobilität‘ als eine beispielhafte sektorale industriepolitische Initiative“ (Gerlach/Ziegler, WSI-Mitteilungen, S. 528) bezeichnet wird, wird gerade der disruptive Charakter der Elektromobilität weit unterschätzt, der das jetzige System der Mobilität „auf den Kopf“ stellen kann und Nachfrager von Mobilität ihre gewünschte Dienstleistung selbst orchestrieren. Wertschöpfung - dies zeigen Reuter und Zinn in ihrem Artikel „Moderne Gesellschaften brauchen eine aktive Dienstleistungspolitik“ (WSI-Mitteilungen, 9/2011, Schwerpunktheft „Dienstleistungsarbeit zwischen Niedriglohn, Professionalisierung und Innovation, S. 462ff) - kümmert sich schon lange nicht mehr um diese sektoralen und branchenmäßigen Grenzziehungen.

Um die gesellschaftlichen Herausforderung tatsächlich meistern zu können, wäre es deshalb passender, „Bündnisse für Wertschöpfungssysteme“ für z. B. Mobilität, Gesundheit oder Energie zu bilden, in denen die wirtschaftlichen und (zivil-)gesellschaftlichen Akteure zusammenarbeiten, die einen Beitrag zu Lösung beisteuern können, egal ob dieser Lösung das Label disruptive, soziale, technologische oder frugale Innovation umgehängt wird - die besten Lösungen bestehen meistens sowieso aus einem Innovationsmix.

http://www.boeckler.de/index_wsi-mitteilungen.htm

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