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Klaus Zühlke-Robinet

12.04.2017

Digitalisierung und Produktivität - wird die Digitalisierung überschätzt?

Werden die mit Digitalisierung verknüpften politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Versprechen gehalten? Wird sie die wirtschaftliche Produktivität beflügeln, für Arbeitsgestaltung und Humanisierung der Arbeit eine „Digitalisierungsdividende“ (Mattke 2016) abwerfen? Zweifel sind angebracht.

Eine Studie des gewerkschaftsnahen wirtschaftswissenschaftlichen IMK untersucht die deutsche Produktivitätsschwäche (Herzog-Stein u.a. 2017). Als wesentlicher Grund wird das Ausbleiben von bahnbrechenden Innovationen genannt - selbst mit der Digitalisierung sind keine verbunden.

"Von den Produktivitätssprüngen, die manche Experten aufgrund zunehmender Digitalisierung erwarten, ist also bislang in den Daten nichts zu sehen. Demnach ist der wirtschaftliche Innovationsprozess am besten als eine Reihe einzelner Erfindungen zu verstehen, auf die schrittweise Verbesserungen folgen, bis das Potenzial voll ausgeschöpft ist. Die weitestreichenden ökonomischen Auswirkungen habe die sogenannte zweite industrielle Revolution gehabt, also der Siegeszug von Elektrizität und Verbrennungsmotor ab Ende des 19. Jahrhunderts. Damals seien multidimensionale Erfindungen mit extrem vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Ausgangspunkt gewesen. (...) Die dritte industrielle Revolution - die Einführung von Computern und Robotern - habe zwar zu erheblichen Fortschritten geführt, berge aber kaum noch zusätzliches Potenzial. Die vierte industrielle Revolution wiederum hält der Wirtschaftswissenschaftler für überschätzt: Phänomene wie die zunehmende Vernetzung, der 3D-Druck oder selbstfahrende Autos hätten vergleichsweise geringe ökonomische Bedeutung, die Entwicklung sei eher evolutionär als revolutionär und zudem eng auf Digitalisierung beschränkt. Das heißt: Dramatische Produktivitätseffekte sind nicht zu erwarten."

Im österreichischen Standard wird auf eine IWF-Studie zu diesem Thema hingewiesen, die auf die Wachstums- und Produktivitätsschwäche der traditionellen Volkswirtschaften eingehen und zu ähnlichen Einschätzungen kommen.

Das IAB beziffert die Produktivitätswirkung einer umfassenden Digitalisierung der deutschen Wirtschaft bis zum Jahr 2025 auf jährlich 0,3 Prozent und entspricht damit dem relativ verhaltenden Niveau des durchschnittlichen jährlichen Arbeitsproduktivitätswachstums des Zeitraums 2001 bis 2010. (Wolter et al. 2016)

Am 8. März 2017 fand bei der Friedrich-Ebert-Stiftung das Expertengespräch "Produktivität von Dienstleistungen" statt (siehe auch die Nachricht von Gerd Ernst "Expertengespräch: Stärkung der Dienstleistungsforschung"). Dort machte Peter Brödner deutlich, dass Computerisierung/Digitalisierung nicht per se zu Produktivitätssprüngen führt. Sein Fazit: "Der säkulare Niedergang der Produktivitätszuwächse verschärft die Verteilungskämpfe. Infolge der Schwächung gewerkschaftlicher Gegenmacht und Deregulierung entstehen bspw. Organisationsformen von Wissensarbeit, die als »Crowdsourcing« digitales Tagelöhnertum ermöglichen. Ursache ist aber nicht die »Digitalisierung« - Vermittlungsplattformen sind schon lange gängige Technik -, sondern sind die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Stattgebannt auf die Schlange der »Digitalisierung« zu starren, gilt es, die Gegenmacht zu stärken." (s. a. Brödner 2015)

Hartmut Hirsch-Kreinsen (2016) entzaubert "Industrie 4.0 als Technologieversprechen". Ob die versprochenen Vorteile, die positiven Entwicklungsperspektiven absehbar Realität werden, ist für ihn fraglich. Viele Unternehmen ziehen nicht so mit, wie es sich Verbände, Politik und Beratungsunternehmen wünschen. Sie werden die neuen technologischen Potenziale eher selektiv nutzen. Die Datensicherheit ist eine offene Flanke. Auch werden die erwarteten ökonomischen Erfolge noch lange auf sich warten lassen, da es nicht in jedem Fall einen positiven Zusammenhang zwischen dem Einsatz von IuK-Technologien und Produktivitätssteigerung gibt.

Im Januar 2017 führte das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid im Auftrag des BMBF eine repräsentative Befragung zum Thema „Wissen schaffen – Denken und Arbeiten in der Welt von morgen“ durch. Über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beantworteten 20 Fragen zu Veränderungen in der Arbeitswelt vom morgen. Die Ergebnisse deuten auf eine große Skepsis gegenüber der Digitalisierung hin. 84 Prozent der Befragten denken, dass durch die Digitalisierung der Unterschied zwischen hohen und niedrigen Gehältern weiter zunimmt. Fast 60 Prozent glauben außerdem, dass durch die Veränderungen Jobs verloren gehen könnten. (BMBF-Homepage, Zukunftsmonitor)

Am 29.03.2017 lud das BMBF zur „4. ZukunftsNacht“ ein, das Thema lautete: „Wissen schaffen – Denken und Arbeiten in der Welt von morgen“. Wie verändert die Digitalisierung unsere Arbeit? Welchen Stellenwert wird Arbeit in Zukunft haben? Diese und weitere Fragen diskutierten Bürgerinnen und Bürger mit Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Auf der BMBF-Homepage ist dazu zu lesen: „Die Gäste wünschten sich, dass digitale Kompetenzen in Aus- und Weiterbildung stärker vermittelt werden. Eine wichtige Rolle spielen dabei Lernformen, die junge wie ältere Menschen dabei unterstützen, ihre digitalen Kompetenzen anzupassen und aufzubauen. Der Bürgerdialog brachte auch den Wunsch zum Ausdruck, die Öffentlichkeit besser über technologische Möglichkeiten zu informieren, um Chancen aufzuzeigen und Ängste im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel abzubauen. Des Weiteren bestand Einigkeit darüber, dass flexible Arbeitszeitmodelle intensiver erforscht werden sollen.“

Wird das BMAS-„Weissbuch Arbeit 4.0“als wichtiger Referenzpunkt der Debatte zur Arbeit der Zukunft gesehen, so brachte die BMBF-Zukunftsnacht keine neuen und über das Weissbuch hinausgehenden Erkenntnisse. Was in der „ZukunftsNacht“ des BMBF diskutiert und vorgebracht wurde, ist schon lange bekannt. Ebenfalls nicht Neues bringt die Forschungsagenda Industrie 4.0 bezüglich der dort aufgeworfenen Forschungsbedarfe zur Arbeitsgestaltung. Die im Oktober 2016 veröffentliche „Forschungsagenda Industrie 4.0 – Aktualisierung des Forschungsbedarfs“ der Plattform Industrie 4.0 wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überwiegend aus dem Produktions- und IKT-Bereich sowie von Vertretern von Unternehmen und Verbänden (aber keine Sozialpartner) verfasst. Die Überschrift „Technologieakzeptanz und Arbeitsgestaltung“ (S. 21) zeigt, dass diese Forschungsagenda nicht in der Lage sein wird, den Nutzen der Digitalisierung für die Beschäftigten zu vermitteln. Ziel der Forschungsagenda ist die weitere und flächendeckende Vernetzung der Dinge in der Wertschöpfung (Internet der Dinge) zu fördern und zu propagieren. Allerdings merken die Beschäftigten tagtäglich, dass tatsächlich die beteiligten Menschen mitvernetzt werden, der Mensch als Objekt gedacht wird, dessen Zustände beobachtbar und steuerbar werden (Meixner 2016). Wenn dann die Akzeptanz ausbleibt, wird die Akzeptanzforschung bemüht. Sie springt dann ein, wenn die Sinnhaftigkeit oder der Nutzen etwa technologischer Entwicklungen nicht deutlich wird. Ob es mit diese Forschungsagenda gelingt, den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen, bleibt offen. Dafür ist es erforderlich, die Perspektive zu öffnen und auf der Basis der Ergebnisse der Arbeitsforschung umfassendere und gestaltungspolitisch anspruchsvollere Forschungslinien aufzubauen.

Ittermann u.a. (2016) zeigen mit Blick auf frühere Debatten zur Humanisierung der Arbeit, dass Wertschöpfung als sozio-technisches System zu begreifen ist, betriebliche, überbetriebliche und die gesellschaftliche Ebenen in die Gestaltung einzubeziehen sind. Im Verständnis der Arbeitspolitik werden Unternehmen als sozial verfasste Organisationen verstanden und ihre jeweiligen „betriebliche Sozialverfassungen“(Hildebrandt/Seltz 1989) sind wichtige Gestaltungskontexte. Werden sie ignoriert, können Gestaltungsprojekte rasch zu Industrie 4.0-Ruinen werden (im Zusammenhang mit CIM s. Menez/Pfeiffer/Oestreicher 2016).

Da hilft es auch nicht weiter, wenn Wolfgang Schroeder (2017) den partizipativen Charakter von Industrie 4.0 hervorhebt: „Die Industrie 4.0-Strategie zeichnet sich dadurch aus, dass sie ausdrücklich auf die deutschen Verbände setzt. Durch sie wird der gestalterische, evolutionär verlaufende Prozess der Implementierung neuer Technologien mit Leben gefüllt. (…) Der Technik- und Marktzentrierung, wie sie in anderen Ländern vorherrschend ist, wird insbesondere durch das Gewicht der Gewerkschaften eine soziale und gesamtgesellschaftliche Dimension hinzugefügt.“

Solange der politische Diskurs zur Digitalisierung den Eindruck vermittelt, also ob dieser Prozess eine zwangsläufige Entwicklung ist („Der Wandel von Arbeitsprozessen schreitet unaufhaltsam voran…..“, so ist es auf der BMBF-Homepage zur „ZukunftsNacht“ zu lesen), wird die politisch-gesellschaftliche Gestaltung dieser insbesondere technologisch getriebenen Entwicklung hinterherlaufen. Tatsächliche Gestaltung setzt einen ergebnisoffenen Prozess voraus, der aber mit der breiten medialen Ankündigung der „Industrie 4.0“ durch das politisch-administrative System plus Vertreter der Produktions- und IKT-Wissenschaft von Anfang an kaum mehr vorhanden gewesen ist.

Doch Digitalisierung bietet auch Chancen: „Sollte es bei der Gestaltung der digitalen Arbeit gelingen, durch mächtige Solidarität der Logik der demokratischen Humanisierung gegen die Logik der kapitalistischen Rationalisierung zum Durchbruch zu verhelfen, so könnte diese Arbeitswelt das Zentrum einer humanen Arbeitsgesellschaft der Zukunft darstellen. In dieser müsste Arbeit als persönlichkeitsproduktives, solidarisches und demokratisches „Handeln“ eine Chance haben, müsste die Logik der Humanität gegen die der Automation gestärkt werden. Ergänzt, geschützt und gefördert werden müsste eine solche Arbeitswelt durch ein sozialstaatliches Modell, das sich auf die Höhe der digitalen Zeit heraufreformiert hat. Notwendig wäre ein Ensemble aus Institutionen, Regeln und Leistungen, das alle Formen abhängiger Arbeit schützt, kollektive Mitbestimmung und individuelle Partizipation neu kombiniert und ein stabiles Fundament für individuelle Autonomie sichert. Eine solche Gesellschaft, die die demokratischen Potenziale der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft in vollem Umfange zu aktivieren verstünde, würde freilich früher oder später mit dem Modell des Gegenwartskapitalismus kollidieren und zugleich über dieses hinausweisen. Und es würde neue Anforderungen an die Humanisierungspolitik (nicht nur) der Gewerkschaften stellen.“ (Urban 2016)

Quellen:

https://www.boeckler.de/107957_107971.htm

http://www.fes.de/de/abteilung-wirtschafts-und-sozialpolitik/schwerpunkt-arbeit/#c25009

http://derstandard.at/2000055396451/Produktivitaet-Innovative-Ideen-ohne-Wirkung

https://www.zukunft-verstehen.de/zukunftsforen/zukunftsforum-4/der-zukunftsmonitor

https://www.zukunft-verstehen.de/zukunftsforen/zukunftsforum-4/die-zukunftsnacht

http://www.plattform-i40.de/I40/Navigation/DE/In-der-Praxis/Online-Bibliothek/online-bibliothek.html?cms_gtp=332182_list%253D2#formular

https://www.fes.de/de/abteilung-wirtschafts-und-sozialpolitik/publikationen-sortiert/wiso-direkt/

https://www.heise.de/tr/artikel/Warten-auf-die-digitale-Dividende-3082573.html

Peter Brödner 2015: Industrie 4.0 und Big Data. Kritik einer technikzentrierten Perspektive. In: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung. Nr. 103, September 2015

Hildebrandt, Eckart; Seltz, Rüdiger 1989: Wandel betrieblicher Sozialverfassung durch systemische Kontrolle? Die Einführung computergestützter Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme im bundesdeutschen Maschinenbau. Berlin.

Peter Ittermann, Jonathan Niehaus, Hartmut Hirsch-Kreinsenu.a. 2016: Social Manufacturing and Logistics. Gestaltung von Arbeit in der digitalen Produktion und Logistik. Soziologisches Arbeitspapier Nr. 47/2016, TU Dortmund

Alexander Herzog-Stein u.a. 2017: Wachstum und Produktivität im Gegenwind: Eine Analyse der Argumente Robert Gordons im Spiegel der deutschen Produktivitätsschwäche (pdf), IMK-Report 124, März 2017

Hartmut Hirsch-Kreinsen 2016: Industrie 4.0 als Technologieversprechen. Soziologisches Arbeitspapier Nr. 46/2016, TU Dortmund.

Sascha Mattke 2016: Warten auf die digitale Dividende. https://www.heise.de/tr/artikel/Warten-auf-die-digitale-Dividende-3082573.html

Raphael Menez, Sabine Pfeiffer, Elke Oestreicher 2016: Leitbilder von Mensch und Technik im Diskurs zur Zukunft der Fabrik und Computer Integrated Manufacturing (CIM). WP 02-2016, Lehrstuhl für Soziologie, Universität Hohenheim

Werner Meixner 2016: Die Gefahr der totalen Vernetzung. Festvortrag beim Deutschen Kongress der Laboratoriumsmedizin DKLM in Mannheim am 30.09.2016.

Wolfgang Schroeder 2017: Industrie 4.0 und der rheinische kooperative Kapitalismus. Friedrich-Ebert-Stiftung, WISO-direkt, 03/2017

Hans-Jürgen Urban 2016: Arbeit im Spannungsfeld von Digitalisierung und Prekarisierung, oder: was Hannah Arendt uns zur Solidarität 4.0 zu sagen hat. Vortrag am 11. Mai 2016 auf den Hannah Arendt Tagen 2016 in Hannover
Wolter, M. I. / Mönnig, A. / Hummel, M. / Weber, E. / Zika, G. / Helmrich, R. / Maier, T. / Neuber-Pohl, C. 2016: Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie: Szenario-Rechnungen im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. IAB-Forschungsbericht Nr. 13/2016.

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