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Humanisierung braucht ein neues Lied: Zur Gründung des Vereins „Humane Gestaltung von Arbeit und Leben e.V.

Am 8.Februar ist in Bonn der Verein „Humane Gestaltung von Arbeit und Leben“ gegründet worden. Der Verein will in der Tradition der vielfältigen Bemühungen zur Humanisierung des Arbeitslebens stehen und die Debatte um die humane Gestaltung von Arbeit und Leben unterstützen und fortführen. Zur gleichen Zeit will er aber auch den Gedanken aufgreifen, Arbeit und Leben wieder miteinander zu verbinden; denn „Acht Stunden sind kein Tag.“ Tradition heißt für mich, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu vergleichen und darauf aufbauend ein „Neues Lied“ zu singen.

Als die Gewerkschaft ÖTV Ende der 80er Jahre in einer großen Tarifauseinandersetzung stand, sang der damalige SPD-Ministerpräsident Oskar Lafontaine das „Lied vom Teilen“[1] und fiel den deutschen Gewerkschaften – unter dem Beifall der Arbeitgeber – massiv in den Rücken. In einem 1989 veröffentlichten Buch sind nicht nur seine Thesen dargestellt, sondern auch andere, die sich mit „Humanisierung des Arbeitslebens“ und Gestaltung der Arbeitszeit beschäftigen.

„Aber zugleich eröffnen beide Wege – Arbeitszeitverkürzung und Humanisierung des Arbeitslebens – auch den Weg zu sinnvolleren, verantwortlichungsvolleren Rollen des Arbeitnehmers in einer solidarischen Gesellschaft. Immer weniger wird er auf seine für die Industriegesellschaft kennzeichnende traditionelle Daseinsspaltung verwiesen – einerseits Arbeitnehmer zu sein und andrerseits bloßer Privatmensch. Dazwischen erschliesst sich zunehmend ein Feld sozialer Aktivität und Verantwortung.

Und dies kann zugleich ganz neue Reserven sozialer Leistungsbereitschaft steigern. Soziale Dienstleistungen wie Kindererziehung, Altenpflege und Krankenbetreuung könnten in einem ins Gewicht fallenden Umfang in die kleinen Netze der Familie, des Freundeskreises und der Nachbarschaft zurückverlagert werden.“ (a.a.O., S.68)

Willy Brandt hat diese Sätze 1982 geschrieben, sie wurden in der Debatte um „Das Lied vom Teilen“ wieder aufgenommen. Diese Sätze sind in vielerlei Hinsicht interessant. Zunächst einmal spricht er von der Rolle des Arbeitnehmers in einer solidarischen Gesellschaft. Humanisierung also nicht als Hilfsorgan der Produktivitätssteigerung, sondern eine Grundlage der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dann versucht er diese gesellschaftliche Teilhabe als drittes Feld zwischen der Arbeitnehmerrolle und der Rolle als „bloßer Privatmensch“ zu beschreiben. „Bloßer Privatmensch“ ist das auf sich gestellte, nur sich sehende Individuum. Weder die Konzentration auf das eine noch auf das andere ist für Brandt erstrebenswert, sondern die Verbindung mit sozialer Aktivität und Verantwortung. Erstaunlich ist dann zunächst sein Rekurs auf die „sozialen Dienstleistungen“, die in die kleinen Netze, über die die Menschen selbst bestimmen können, zurückgeholt werden sollen. Er kommt im folgenden dann auch zur realen Mitbestimmung in allen Lebensbereichen.

Doch schauen wir uns unseren heutigen Stand an. Es gibt keine Arbeitszeitverkürzung mehr. „Das Lied vom Teilen“ hat seine Wirkung getan. Nachdem die Arbeitgeber wohl keine Verlängerung der Arbeitszeit (42 Wochenstunden bei den Beamten!) mehr erreichen können (aber sicher wollen: 6*8=48), durchlöchern sie – teilweise mit Zustimmung der Sozialdemokratie – die Grenze zum „bloßen Privatmenschen“. Ach ja, das dazwischenliegende Feld „sozialer Aktivität und Verantwortung“ ist inzwischen verwüstetes, von vielen aufgegebenes Feld. Die „kleinen Netze“ sind unter dem Einfluss der „social media“ (die ja nichts mit „sozial“ zu tun haben) verunstaltet und jeder versucht mit seinem Smartphone, Tablet, VR-Brille o.ä. sein bloßes Privatleben schön zu machen. In den Schulen ist es wichtiger Medienkompetenz zu erlernen als solidarisches Verhalten!

Interessant ist Brandts Haltung zu den „Sozialen Dienstleistungen“. Willy Brandt hier platte Frauenfeindlichkeit zu unterstellen ist etwas kurz; denn bei dem Anteil der männlichen Industriearbeitnehmer 1982 sind es eher die Männer, die in die „sozialen Dienstleistungen“ zurückgeholt werden sollen. Aber für Willy Brandt scheinen solche „sozialen Dienstleistungen“ etwas zu sein, dass sich substantiell von einem kapitalistischen (Arbeits)verhältnis unterscheidet. Auch hier sind wir heute weit weg von diesen Idealen. Noch können sich Staat und Gesellschaft gegen die Übernahme der Bildungsinstitutionen für Kinder und Jugendliche wehren. Bei den Universitäten haben die Privatuniversitäten an Terrain gewonnen und über die Mitbestimmungsregelungen an den Universitäten hat auch die Wirtschaft einen Anspruch erworben, der ihr aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht zusteht. Andere soziale Dienstleistungen sind heute – auch in meinem Leben – Teil der Gesundheitswirtschaft, Teil der Gesundheitsindustrie. Der Aufschrei „Gesundheit ist keine Ware“ ist ein Schrei der Verzweiflung und die Definition der Gesundheitsindustrie als „Soziale Gesundheitswirtschaft“ bedarf vieler Regeln, um den innewohnenden Kapitalismus zu bändigen.

„Das Lied vom Teilen“ hat - wie der Untertitel es fordert - einen „politischen Neubeginn“ verbunden mit einer „geistig moralischen Wende“ ausgelöst. Doch das will ich wirklich nicht mehr, sondern mit allen Kräften wieder auf das dritte Feld der „sozialen Aktivität und Verantwortung“ steuern, um eine humane Gestaltung von Arbeit und Leben zu erhalten. Wir müssen ein „Neues Lied vom Miteinander in Arbeit und Leben“ singen lernen.

[1] Zitate nach: Oskar Lafontaine: „Das Lied vom Teilen“ Die Debatte über Arbeit und politischen Neubeginn, Wilhelm Heine Verlag, München, 1990

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