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Kommentar zu Günter Neubauer "Bei den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen ...

Günters Einschätzung des kritischen Blackouts arbeitsorientierter Sozialwissenschaftler ist besonnen und zurückhaltend.
Ich erinnere mich an das 2013 erschienene Buch des bedeutenden Sozialhistorikers Hans-Ulrich Wehler über "Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck München 2013, ISBN 978-3-406-64386-6), in dessen Einleitung er den mainstream der Sozialwissenschaften sinngemäß so kritisiert: Sie kümmerten sich zwar um Phänomene wie Individualisierungsprozesse oder die neue Erlebnisgesellschaft und dergleichen mehr, vernachlässigten aber ihren klassischen Gegenstand, die ungebrochene und sich wieder stärkere Durchsetzung der sozio-ökonomischen Klassen- und Herrschaftsverhältnisse, die er von der Einkommens- und Vermögensverteilung bis zu gebremsten Aufstiegsmöglichkeiten und Heiratsmärkten durchdekliniert.

Angesichts des neoliberal kodierten Finanzmarktkapitalismus mit seinen brutalen sozialen Verwerfungen ist ein klarer analytischer Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nötig, worauf Günter hinweist, um überhaupt Gestaltungsmöglichkeiten ausloten zu können.
Wir hatten in unserem Aufsatz "Gesellschaftliche Knotenpunkte arbeitspolitischer Programmentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland" (Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 2/2009, 92-103; auf der Homepage der ZfA vollständig abgedruckt) angesichts der humanisierungspolitischen Regressionstendenzen in dem ersten Abschnitt des Kapitels 4: "Humanisierungspolitische Renaissance in der akuten Krisenkonstellation" von den Arbeitswissenschaften ausdrücklich eine Aufklärung, Reflexion der "Triebkräfte negativer arbeitspolitischer Wirkungsketten" verlangt und hierzu eine prononcierte Einschätzung angesichts der allgemeinen "Wettbewerbsobzession" (so Krugman schon 1993 in Foreign Affaires) geliefert.

Die hier vorgenommene Analyse ist dann von Brödner&Oehlke in Richtung einer "strategischen Funktion nachhaltig entfalteten Arbeitsvermögnes in wissensintensiven Wertschöpfungsprozessen" weiter konkretisiert und von Neubauer&Wächter hinsichtlich einer "erweiterten Wirtschaftlichkeitsrechnung (EWR) - ein Ansatz zu einer interdisziplinären Innovationsplanung" thematisiert worden (beide Aufsätze in der ZfA 1/2011).

Wenn die von Günter zitierten Sozialwissenschaftler, die vielfältige kritische Literatur sicher besser als wir kennend, entweder frei über den gesellschaftlichen Interessenkonflikten schweben oder von neuen technikbestimmten Gestaltungsräumen fabulieren, dann scheinen hier wiederum die nicht analysierten Kräfteverschiebungen in spezifischer Weise durchzuschlagen. Institute wie ihre Wissenschaftler hängen an dem Tropf der jeweiligen Geldgeber, mit denen mann/frau es sich nicht durch kritische Analysen und unzeitgemäße Forderungen verscherzen will oder auch kann, die aber gerade in der gegenwärtigen Situation dringlicher denn je sind. Das ist auch eine Facette der stillgestellten Dialektik nachhaltiger gesellschaftlicher Entwicklung.

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